Knuth: Oh ja, ich habe mitbekommen, dass darüber in Deutschland gerade diskutiert wird. Meine persönliche Meinung dazu ist, dass Algorithmen wie Mathematik sind, also inhärent nicht patentierbar. Es beunruhigt mich, dass die meisten Patente von so einfachen Ideen handeln, dass ich von meinen Studenten erwarten würde, sie als Hausaufgabe zu entwickeln. Manchmal gibt es Ausnahmen, beispielsweise etwas sehr Raffiniertes wie eine Innere-Punkte-Methode für lineare Programmierung, wo man wirklich von einer signifikanten Entdeckung sprechen kann. Für mich ist das aber immer noch Mathematik. Ich komme aus einer mathematischen Kultur, in der wir kein Geld von Leuten kassieren, die unsere Sätze benutzen. Da gibt es den Gedanken, dass Mathematik entdeckt, nicht erfunden wird. Wenn etwas schon da war, wie kann man es dann patentieren?
Wenn etwas schon da war, wie kann man es dann patentieren?
Ich habe einen offenen Brief an das US-Patentamt geschrieben und ihn am Ende der zweiten Auflage des CWEB-Manuals veröffentlicht. Unglücklicherweise haben sie die Seite in der neusten Auflage wieder weggelassen, aber im Web findet man den Brief noch. Im Prinzip sage ich darin das, was Stallman schon seit Jahren sagt, nämlich dass Patente auf Algorithmen etwas Ähnliches wären wie Patente auf englische Wörter. Ich habe als Analogie unser Rechtssystem benutzt: Was wäre, wenn jeder Rechtsanwalt, der einen Fall zitiert, dafür bezahlen müsste? Es würde uns darin einschränken, neue Fälle zu behandeln, oder im Falle eines Software-Entwicklers, neue Software zu programmieren. Wenn es damals Software-Patente gegeben hätte, hätte ich TeX nie schreiben können. Und so ziemlich jedes Programm, das ich heute für meine tägliche Arbeit benutze, wäre nicht geschrieben worden. Jedes Stück Software, das wirklich wichtig für mich ist, wäre vermutlich nicht entwickelt worden, wenn es damals Software-Patente gegeben hätte.
Ich denke, dass Software-Entwickler ein Einkommen verdienen, aber nicht dafür, dass sie sich einen Algorithmus schnappen und ihn dann für sich beanspruchen, sondern für Dienstleistungen wie das Anpassen von Programmen, das Verfassen guter Handbücher und die Unterstützung der Anwender. In der ersten Auflage von Band 3 hatte ich die Bemerkung stehen, dass es eine starke Analogie zwischen der Erstellung eines Programms und dem Anfertigen einer Maschine aus Holz oder sonstigen Materialien gibt. Das macht es vermutlich unausweichlich, dass es eines Tages Patente auf Algorithmen geben wird. Ich habe das in der dritten Auflage ein wenig umformuliert. Ich habe jedenfalls nicht die Zeit, bei allen Algorithmen zu überprüfen, ob sie irgendwelche Patente berühren. Ich versuche es natürlich und verweise auch auf eine ganze Reihe Patente. Aber wenn ich ein Patent nicht erwähne, bedeutet das nicht, dass es nicht existiert.
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